Datum: 11.11.2024 - Lesezeit: 5 min
Der alpine Skirennsport ist zurück und in aller Munde. Getreu der Maxime Vorsprung durch Technik – wer stand am Rettenbachgletscher auf den ersten Blick am besten am Ski, wessen Weiterentwicklung hat euch besonders beeindruckt?
Benjamin Raich: „Mir persönlich sind vor allem Marco Odermatt aber auch Stefan Brennsteiner in Erinnerung geblieben. Technisch eine Augenweide, beide sehr schnell und auch stabil, aber diesmal im Risikomanagement nicht am Punkt.“
Hans Knauß: „Alexander Steen Olsen hat einen unglaublichen Schritt gemacht. Er ist eher ein Leichtgewicht, ein zäher Bursche. Er löst es, ähnlich wie Kristoffersen nicht mit Kraft, sondern mit seinem extremen Einsatz und einer unglaublichen Technik. Er ist den Steilhang mit sehr viel Mut gefahren und hat Nervenstärke bewiesen. Mit dem ist in Zukunft in jedem Riesentorlauf zu rechnen und ich denke, dass er auch im Slalom richtig schnell sein wird.“
Michaela Kirchgasser: „Mich hat die Julia Scheib beeindruckt. Man hat im Training und in der letzten Saison zwar gesehen, was sie kann, aber gleich beim ersten Rennen der Saison, noch dazu in Österreich, so aufzuzeigen, das war schon sehr cool.“
Der Weltcupauftakt stand ganz im Zeichen der Rückkehrer Marcel Hirscher und Lucas Pinheiro Braathen, die bereits im Vorfeld von Sölden die Schlagzeilen dominiert haben. Wie ist dieser Hype zu erklären? Braucht es generell mehr Show, oder fehlt es dem Skisport schlichtweg an Typen?
Der alpine Skirennsport ist der trockenste und härteste Sport überhaupt, da ist so verdammt wenig Show, dass wir nach genau solchen Geschichten gelechzt haben.
Hans Knauß: Ich freue mich wahnsinnig darüber! Es hat noch nie einen Superstar gegeben, der nach einer fünfjährigen Pause - und das ist eine richtig lange Zeit - ein Comeback gegeben hat. Es ist für uns alle - ob Fans oder Experten – extrem interessant, jeder stellt sich die Frage, wie weit Marcel kommen kann. Ihm fehlen noch die Rennkilometer, nur dadurch findest du dein Limit. Wenn er sich das erarbeitet, wird er in der zweiten Saisonhälfte und bei der Weltmeisterschaft richtig gefährlich. Ich rechne jedenfalls fest damit, dass Marcel in dieser Saison noch aufs Podium fährt.
Benjamin Raich: „Für mich ist der Hype eine logische Sache gewesen. Marcel hat achtmal den Gesamtweltcup gewonnen, er hat den Sport dominiert, war dann fünf Jahre weg und ist mit seiner eigenen Ski-Firma zurück - das ist schon sehr speziell und hat klarerweise etwas ausgelöst. Auch Braathen ist ein sehr spezieller, sehr intelligenter Bursche, mit großer Strahlkraft. Ich glaube trotzdem nicht, dass es dem Skisport an Typen fehlt, solche Comeback-Stories tun jeder Sportart gut.“
Braathen fuhr nach einem Jahr Pause mit Laufbestzeit im Finale auf Rang vier, Hirscher erzielte 2051 Tage nach seinem Abschied aus dem Profisport im zweiten Durchgang die drittschnellste Laufzeit – war das in der Tonart zu erwarten und muss sich die Konkurrenz da nicht gleich nach dem ersten Kräftemessen hinterfragen?
Michaela Kirchgasser: „Ja, das war so zu erwarten, speziell bei Lucas, da er halbwegs im Rhythmus geblieben ist. Marcel war doch fünf Jahre weg. Da kannst du trainieren was du willst, ein Rennen ist dann doch noch Mal etwas anderes.“
Aber jeder wusste, wenn einer das schaffen kann, dann Marcel.
„Der hat nicht umsonst die letzten zehn Jahre, in denen er gefahren ist, derart dominiert. Ich habe ihm das Tiefstapeln im Vorfeld ohnehin nicht abgenommen, wenn Marcel Hirscher am Start ist, wird er voll performen, das war mir klar. “
Hans Knauß: „Hinterfragen braucht man noch gar nichts. Man hat im Vorfeld über Superstar Odermatt nichts geredet, weil die Comebacks alles überstrahlt haben. Trotz seines Ausfalls ist er für mich der schnellste Mann am Berg. Wenn der seinen Rhythmus findet, wird es wieder gnadenlos. Ich denke Braathen wird ihm am gefährlichsten. Er ist für mich der Mann der Zukunft, das gilt auch für den Slalom.“
Bei den Damen landete Julia Scheib hinter Federica Brignone und Alice Robinson auf Platz drei und fixierte damit den ersten RTL-Podestplatz für die Ski Austria Damen seit 2019. Wie überraschend war ein Siegerbild ohne Mikaela Shiffrin und was ist Julia in dieser Saison zuzutrauen?
Benjamin Raich: „Vor allem nach ihrer Halbzeitführung war der Rückfall von Mikaela schon ein wenig überraschend, auf der anderen Seite zeigt das aber auch, dass alles zusammenpassen muss. Von Julia Scheib halte ich ebenfalls richtig viel. Nach so einem Patzer beginnt man in der Regel zu hasardieren, was selten gut geht. Sie hat den Fehler akzeptiert und sich nicht aus dem Konzept bringen lassen, das war richtig stark. Ich glaube wir werden in Zukunft noch viel Freude mit ihr haben.“
Hans Knauß: „Ich habe Mikaela am Tag vorm Rennen im Training beobachtet und mich gefragt, wer bitte schön soll die schlagen. Sie fährt für mich, von allen Damen und Herren zusammen, am edelsten Ski, hat so eine geile Technik. In Sölden ist sie in Schönheit gestorben, einfach sauber runterfahren ist definitiv zu wenig. Das Wachrütteln wird es gebraucht haben, um sie müssen wir uns aber sicher keine Sorge machen. Was unsere Leute betrifft, muss man schon hinterfragen, wie es sein kann, dass wir es als Skination Österreich in fünf Jahren nicht geschafft haben eine Dame aufs Podest im Riesentorlauf zu bekommen. Das darf nicht sein, da sind in den letzten 10, 15 Jahren sicher Fehler passiert. Julia war für mich schon im letzten Winter ein Lichtblick, weil sie keine Kompromisse eingegangen ist und sich immer voll runtergehaut hat. Da sind Schnitzer passiert und Ausfälle dabei gewesen, aber das gehört dazu. Umso lässiger ist es, dass sie es beim Heim-Weltcup in die Top-3 geschafft hat.“
Michaela Kirchgasser: „Mikaela Shiffrin hat sich technisch wie eh und je von ihrer allerbesten Seite gezeigt. Im zweiten Durchgang hat sie allerdings zu viel taktiert, das funktioniert nicht. Aber wenn sie durchgehend auf Zug bleibt, wird sie in dieser Saison im Riesentorlauf noch einige Bestzeiten fahren. Julia traue ich wie gesagt einiges zu. Sie ist für ihr Alter schon sehr abgebrüht und punkto Technik jederzeit für ein Stockerl gut. Auch von Stefanie Brunner hört man sehr viel Gutes, mit ihr ist heuer sicherlich auch zu rechnen.“
In Levi werden die Karten neu gemischt, diesmal im Slalom. Wen muss man in Finnland auf der Rechnung haben und was traut ihr dem Ski Austria Team beim zweiten Saisonrennen zu?
Michaela Kirchgasser: „Levi ist ganz speziell, ein scheinbar leichter Hang mit zwei Wellen, die es sehr spannend machen. Das lange Flachstück ist entscheidend, hier hat Mikaela dank ihrer Möglichkeiten sicher Vorteile, ich habe aber auch Wendy Holdener und Anna Swen-Larsson auf der Rechnung, die fühlen sich auf diesem kalten, trockenen Schnee ebenfalls sehr wohl. Bei den Herren sind Prognosen schwer, in keiner Disziplin gibt es so viele Siegesanwärter wie im Slalom. Manuel Feller hat letztes Jahr bewiesen, dass er da ist, wenn es drauf ankommt, so gesehen rechne ich ganz fest mit ihm.“
Für mich ist Manuel Feller der Fahrer, den es zu schlagen gilt. Er hat in der vergangenen Saison mit konstant starken Leistungen seine Extraklasse demonstriert und ist für mich der Topfavorit.
Benjamin Raich: „Ebenso auf der Rechnung habe ich Alexander Steen Olsen, der mich in Sölden vor allem dank seiner mentalen Stärke überzeugt hat. Eine Halbzeitführung ist eine Sache, das im zweiten Durchgang zu bestätigen eine ganz andere. Er hat das super gemeistert, ist generell ein cooler Typ, der mit dem Selbstvertrauen von Sölden auch in Levi brandgefährlich wird.“
* Fotocredits: Agentur LOOP New Media GmbH, GEPA pictures, Simon Rainer