Text: Patricia Jell – Foto: Stephan Redel, Jean Pierre Pellissier, Rolf Klatt – Lesezeit: 9 min
Audi RS Q e-tron: Bei diesem Fahrzeug handelt es sich um das Rallye-Dakar-Rennfahrzeug; dieses wird nicht zum Kauf angeboten.
Arbeit am Herz des Audi RS Q e-tron²: Zwei Mitarbeiter von Audi Sport überprüfen an der Hebebühne den Antrieb, mit dem das Fahrzeug bei der Rallye Dakar starten wird.
Arbeit am Herz des Audi RS Q e-tron²: Zwei Mitarbeiter von Audi Sport überprüfen an der Hebebühne den Antrieb, mit dem das Fahrzeug bei der Rallye Dakar starten wird.
Schweigen, ab und an ein kurzer Wortwechsel, dann wieder Ruhe. Die Männer, die sich in der sauberen, hellen Werkshalle konzentriert um den aufgebockten Käfig bewegen, der bald die Fahrerzelle eines Rallyeautos sein wird, verstehen sich auch ohne große Worte. In der Vorrichtung sitzt eine Rennsportlegende bewegungslos hinter dem Lenkrad: Carlos Sainz. Gerade wird der Bereich unter und hinter ihm ausgeschäumt; wenn der Schaum aushärtet, entsteht ein perfekt auf Sainz abgestimmter Fahrersitz. Dafür muss bei Technikern und Ingenieuren jeder Griff sitzen – zu langes Zögern oder eine ungeschickte Bewegung, und die Prozedur muss von vorne beginnen. Das sogenannte Seat Fitting ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung eines besonderen Projekts. Hier in Neuburg an der Donau entsteht der Audi RS Q e-tron², entwickelt, um bei der Rallye Dakar im Januar 2022 mit einem elektrifizierten Antriebskonzept in der Gesamtwertung zu bestehen. Sainz ist einer der Fahrer der drei Teams, die für Audi Sport an den Start gehen. Drei Fahrzeuge mit jeweils einem Fahrer und Beifahrer von Audi werden sich zwei Wochen lang mit einem Antrieb durch die Wüste arbeiten, der einen elektrischen Antriebsstrang mit einem Energiewandler-System aus TFSI-Motor und Generator kombiniert – ein anspruchsvolles Konzept, dem ein ehrgeiziger Plan zugrunde liegt.
Legende hinter dem Lenkrad: Carlos Sainz, einer der Rallye-Dakar-Fahrer von Audi Sport, beim Seat Fitting. Sainz sitzt auf einem speziellen Schaum; wenn das Material aushärtet, entsteht ein perfekt auf seinen Körper abgestimmter Fahrersitz.
Legende hinter dem Lenkrad: Carlos Sainz, einer der Rallye-Dakar-Fahrer von Audi Sport, beim Seat Fitting. Sainz sitzt auf einem speziellen Schaum; wenn das Material aushärtet, entsteht ein perfekt auf seinen Körper abgestimmter Fahrersitz.
Denn das Projekt ist durch und durch ambitioniert, beginnend schon beim Timing: Der Startschuss fiel im Sommer 2020. Um vor der Dakar noch genug Zeit für Tests zu haben, musste das Fahrzeug schon im Sommer 2021 in die Erprobung. Bedeutet: weniger als zwölf Monate für die Entwicklung, von Konzeption über Konstruktion, Design und Zusammenbau des Fahrzeugs, und das alles unter Pandemiebedingungen – ein sportlicher Sprint. Geleistet hat ihn ein Team aus Entwickler_innen und Techniker_innen von Audi Sport und dessen Partner Q Motorsport, der viel Erfahrung, gute Kontakte – und jede Menge Erfolge – in der Dakar mitbringt. „Das Projekt war und ist eine Herausforderung für das gesamte Team“, sagt Stefan Dreyer, Entwicklungschef von Audi Sport. Wie man die besteht? „Mit dem richtigen Mindset: mit Mut, Stabilität, Ausdauer und Ehrgeiz.“
Wir müssen uns auf alles vorbereiten. Denn bei der Dakar weiß man nie, was einen erwartet.
Geht die Herausforderung Dakar mit seinem Team sportlich an: Stefan Dreyer, Entwicklungschef von Audi Sport.
Der Antrieb des Fahrzeugs für die Rallye Dakar.
Geht die Herausforderung Dakar mit seinem Team sportlich an: Stefan Dreyer, Entwicklungschef von Audi Sport.
Der Antrieb des Fahrzeugs für die Rallye Dakar.
Und mit Erfahrung. Davon gibt es in Neuburg mehr als genug, das beweist allein schon die Vitrine im Foyer, die Rennsport-Pokale bis unter die Decke aufreiht. Audi Sport, das ist Rennsport-Geschichte, geschrieben auf der Langstrecke von Le Mans oder der Nürburgring-Nordschleife, der DTM, der Formel E und im Rallyesport. Bei Letzterem hat man Anfang der 1980er-Jahre mit dem quattro Antrieb eine innovative Technologie an den Start gebracht, und in den, genau gesagt in einen der wohl härtesten Wettbewerbe überhaupt, die Rallye Dakar, kehrt man nun mit dem innovativen Antriebskonzept zurück. Das Team kann auch von bereits geleisteter Entwicklungsarbeit profitieren: Im Audi RS Q e-tron²kommen insgesamt drei E-Motoren aus der Formel E sowie ein TFSI-Motor aus der DTM zum Einsatz, die für die Dakar kombiniert wurden.
Dass der Entwicklungssprint gelingen kann, liegt auch am Standort Neuburg selbst. Er beheimatet das Kompetenzcenter Motorsport mit der Werks- und Kund_innensport-Abteilung, hier testet zudem die Technische Entwicklung Fahrassistenz- und Sicherheitssysteme. Rund 400 Mitarbeiter_innen arbeiten an dem Standort, zu dem auch Teststrecken gehören. Diese sind auch für Kund_innen geöffnet, die in der Audi driving experience neue Modelle wie den neuen Audi RS e-tron GT³ auf den Parcours erleben können. Hier, auf dem 47 Hektar großen Areal, schlägt das Herz von Audi Motorsport, fließen die Erfahrungen der unterschiedlichen Bereiche ineinander. Zu einem eingespielten Team kommt eine Infrastruktur mit einer Ausstattung, die von Aggregate-Prüfständen bis hin zu Simulatoren und Teststrecken vieles bietet. Hier hat das Dakar-Team gemeinsam wichtige Meilensteine erreicht. „Zu sehen, wie im Werkstattbereich das Auto Bauteil für Bauteil entsteht, wie Hand in Hand gearbeitet wird, wie alle ohne Worte kommunizieren – das ist der Moment, in dem man weiß, es läuft“, sagt Dreyer. Ähnlich einprägsam: der Start in die Erprobung. Das Fahrzeug gilt als extrem komplex. Umso besonders sei der Moment, wenn dann alles wie ein Puzzle ineinandergreift und das Auto die ersten Meter fährt.
Hier versteht man sich auch ohne große Worte: Mitarbeiter von Audi Sport arbeiten in einer der sauberen, hellen Werkshallen in Neuburg an dem aufgebockten Käfig des Rallyeautos.
Hier versteht man sich auch ohne große Worte: Mitarbeiter von Audi Sport arbeiten in einer der sauberen, hellen Werkshallen in Neuburg an dem aufgebockten Käfig des Rallyeautos.
Die Rallye Dakar besteht man mit dem richtigen Mindset: mit Mut, Stabilität, Ausdauer und Ehrgeiz.
Doch bei allen Gänsehautmomenten gilt: Noch ist der Audi RS Q e-tron² nicht am Ziel. Denn wie schon die Entwicklung ist auch die Erprobung herausfordernd. „Die Dakar ist wie eine Schatztruhe; man steht davor und weiß nicht, was einen erwartet“, sagt Dreyer. „Man muss sich auf alles vorbereiten.“ Dementsprechend werden die Fahrzeuge bei Audi Sport intensiv geprüft, unter Realbedingungen ebenso wie in den Werkstätten. Dabei kommt Hightech zum Einsatz – und Handwerk, wie man etwa im sogenannten Abstartraum erleben kann. Karosserieteile des Audi RS Q e-tron² sind auf dem Boden ausgebreitet, die Fahrerkabine ist aufgestellt. Zwei Techniker testen das Material der Kabine von allen Seiten auf kleinste Lufteinschlüsse und damit mögliche Schwachstellen mit modernster Technik – und ihrem wichtigsten Werkzeug: ihrem Gehör. Sie klopfen Zentimeter für Zentimeter des Materials ab, auf der Suche nach einer Abweichung im Klang, die kleinste Ungenauigkeiten in der Verarbeitung signalisieren kann. Sie könnten bei der Rallye fatale Folgen haben. Denn unterwegs in der Wüste wird die Haltbarkeit der einzelnen Bauteile unter schwierigen Bedingungen belastet. Und die Zeit läuft, nur rund fünf Monate Testzeit bleiben dem Team, dann beginnt die Dakar – und damit ein Wettlauf über zwei Wochen mit langen Tagesetappen, Regen, Hitze, Staub und extremen Anforderungen an Material und Mannschaft. Eine wahre Herausforderung für ein neues Fahrzeugkonzept – und damit genau das, was man bei Audi Sport gesucht habe, so Dreyer. Denn den Impuls zur Teilnahme gab letztlich eine Frage: Wie sieht der Antriebsstrang der Zukunft im Motorsport aus, der effizient, performant und langstreckentauglich ist? Die Antwort von Audi Sport: das Energiewandler-Konzept, das nun im Audi RS Q e-tron² zum Einsatz kommt – zum ersten, aber nicht zum letzten Mal, wenn es nach der Planung geht, denn: „Das Konzept ist eine Neuausrichtung unserer Motorsportstrategie. Es ist auf jeden Einsatzfall im Motorsport anwendbar, ist skalierbar und zukunftsfähig, da man auch neue Technologien wie in einem Baukasten einbeziehen kann“, so Dreyer. Die Rallye Dakar mit all ihren Herausforderungen ist das perfekte Testlabor für das Konzept. Mit all ihren Freiheiten und Möglichkeiten ist sie eine ideale Plattform, um „Vorsprung durch Technik" zu zeigen – auch, weil der Veranstalter ASO sich bewusst in Richtung alternativer Antriebskonzepte bewege.
Und so startet das Team von Audi Sport bei der Dakar mit einer Mission: Neue Wege gehen, zeigen und beweisen, dass elektrisch angetriebene Fahrzeuge unter diesen Bedingungen konkurrenzfähig sind: Dafür arbeitet das gesamte Team intensiv; von den Technikern, die in konzentrierter Stille den perfekten Sitz für Fahrer und Beifahrer entstehen lassen und potenzielle Probleme am Klang erkennen, bis hin zu den Fahrern selbst, die sich im Training psychisch und physisch auf die Herausforderung Dakar vorbereiten. Alles muss auf den Punkt sitzen, in jeder Einzeldisziplin und im Zusammenspiel. Und die Motorsport-Welt schaut genau zu – das Engagement von Audi bei der Dakar weckt Interesse. Was die Welt zu sehen bekommt, wenn sie auf den Audi RS Q e-tron² blickt, ist Audi in Reinkultur, gerade auch in Sachen Design. Die Gestaltung spielte daher auch in der Entwicklung des Fahrzeugs eine weit größere Rolle, als es sonst im Motorsport üblich ist. Viele Details erinnern an oder zitieren Designs aus dem Bereich der Serienfahrzeuge. Auch das zeigt: Das Projekt will nach außen Strahlkraft entfalten. Intern soll es helfen, die Elektrifizierung weiter voranzutreiben. Die des Rennsports, aber auch die Serienentwicklung soll von den Erkenntnissen, die man in der Wüste Saudi-Arabiens gewinnt, profitieren. Sicher ist: Die Dakar 2022 ist nur ein erster Schritt, das Konzept soll weiterentwickelt werden. „Wir investieren mit diesem Engagement in die Zukunft, nach dem Motto: Wer aufhört, besser zu werden, hört auf, gut zu sein“, sagt Dreyer. „Das ist ein Gedanke, der uns anspornt – wir wollen uns immer wieder neu erfinden, um erfolgreich zu sein.“